Welt am Sonntag, July 22nd, 2012
Arp - eine schmerzhafte Ehrenrettung Illegitime Nachgüsse brachten das Bildhauerwerk von Hans Arp in Misskredit. Eine Bestandsaufnahme zeigt nun, dass es weniger sind als gedacht. Geschichte einer überfälligen Aufarbeitung
von Tim Ackermann
Bronze ist überwiegend unbedenklich, Marmor hat seine Tücken, und von Gips sollte man die Finger lassen. Das ist, pointiert gesprochen, die Aussage eines neuen Buches zum bildhauerischen Werk von Hans Arp. Das 424 Seiten starke Kompendium, das den Titel "Hans Arp - Skulpturen: Eine Bestandsaufnahme "trägt, soll der Ehrenrettung des 1966 verstorbenen Dada-Mitbegründers dienen. Denn das skulpturale Werk des Elsässers Arp ist insbesondere in den vergangenen 15 Jahren in ziemlichen Verruf geraten. Experten haben immer wieder kritisiert, dass die Zahl der posthum gegossenen Bronzen und gehauenen Marmore Arps unklar ist. Zum Teil musste man den Eindruck bekommen, die Werke des Künstlers würden von seinen Erben nach Belieben vervielfältigt. Ein nicht ganz unberechtigter Verdacht, wie die nun veröffentlichte Bestandsaufnahme offenbart.
In Sachen Hans Arp gibt es nicht nur eine Autorität sondern mindestens drei: Wichtigste Anlaufstelle ist der Verein Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp in Remagen. Ihm wurden 1977 von der Künstlerwitwe Marguerite Arp-Hagenbach die Guss- und Urheberrechte übertragen. Er entscheidet also über die Anfertigung einzelner Arp- Skulpturen. Daneben gibt es noch die Fondation Arp, gegründet 1978 im französischen Clamart, sowie die Schweizer Fondazione Marguerite Arp, die seit 1988 existiert. Die drei Institutionen agieren unabhängig und sind untereinander immer mal wieder zerstritten. Wenn man das Bestandsaufnahme-Buch durchblättert, so erkennt man, dass jede von ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Alleingang gehandelt hat.
Das bekannteste Beispiel stammt vermutlich aus dem Jahre 1996: Es geht dabei um posthum entstandene Bronzen und Steinskulpturen, die Johannes Wasmuth, der damalige Vereinsvorsitzende der Remagener Stiftung, als Teil eines größeren Arp-Konvoluts dem Land Rheinland-Pfalz verkaufte. Die Werke sollten im Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen gezeigt werden, das damals in Kooperation zwischen dem Land und dem Verein entstand. Kunsthistoriker bemängelten jedoch die Qualität der Nachgüsse. 1998 wurden unter anderem alle posthum hergestellten Marmorskulpturen vom Land Rheinland-Pfalz an den Verein zurückgegeben. Da hatte das Wort von der wundersamen Werkvermehrung nach dem Tod des Künstlers schon die Runde gemacht.
Nun sind posthume Anfertigungen bestehender Skulpturen in der Kunstwelt eigentlich nichts Ungewöhnliches. Sie können sogar richtig teuer werden: Im Herbst 2010 erzielte die Bronze "Nu de dos, 4 état" von Henri Matisse bei einer Versteigerung von Christie's stattliche 48,8 Millionen Dollar - obwohl dieses Exemplar des Werks erst 1978 gegossen wurde, immerhin 24 Jahre nach Matisse' Tod. Die besondere Problematik bei Arp ist jedoch, dass die Gralshüter des Erbes zugleich als motivierte Händler auftraten. Das neue Buch zitiert eine Besprechung des Remagener Vereins, bei der entschieden wurde "noch sehr viel zu gießen", solange die Künstlerwitwe Marguerite lebe. Ziel dürfte dabei wohl auch die Finanzierung des Vereins gewesen sein, so wie es bereits im Gründungsstatut von 1977 angemerkt wurde. In den Achtziger- und Neunzigerjahren legte der Vorsitzende Johannes Wasmuth die Gussrechte sehr großzügig aus. Da der Verein zudem intransparent agierte, konnten Kunsthistoriker bald nicht mehr feststellen, welche Skulptur zu Lebzeiten des Künstlers entstand und welche danach. So kam es zu der Befürchtung, das gesamte bildhauerische Werk Arps sei kontaminiert.
Die Ehrenrettungsbemühungen begannen 2010 mit der Wahl eines neuen Vorstands. Und der Hamburger Kaufmann Engelbert Büning dürfte als neuer Vorsitzender schnell gespürt haben, dass man die öffentliche Meinung nur ändern kann, wenn man alle Karteikarten offen auf den Tisch legt. Auf diesen kleinen Papieren, die sich im Besitz des Vereins befinden, notierten einst der Künstler und seine Sekretärin Greta Stöhr alle Details zu seinen Werken, so auch die Auflage, den Gussort und das Gussdatum. Auf Anregung und strategisch beraten von der Berliner Firma Fine Art Partners begann die Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp also ihr Archiv zu öffnen. Die Stiftungen in Frankreich und der Schweiz verweigerten die Mitarbeit.
Zwei externe Wissenschaftler wurden hinzugezogen: Kai Fischer kompilierte das Material und verglich es mit den zwei bereits bestehenden Arp-Werkverzeichnissen von 1957 und 1968. Arie Hartog, Skulpturenexperte und Direktor des Gerhard Marcks Hauses, deutete die Ergebnisse aus kunsthistorischer Sicht und fügte einen erklärenden Essay zur Arbeitsweise Arps bei. So weist er darauf hin, dass die heute vielerorts bekannten weißen Gipsplastiken in den Augen des Künstlers vermutlich nicht den Status von eigenständigen Kunstwerken hatten, weil sie in einem 1957 von Marguerite Hagenbach erstellten Skulpturenverzeichnis so gut wie nicht aufgeführt sind. Zudem zitiert Hartog ein Schreiben der Künstlerwitwe aus dem Jahre 1966, in dem sie erklärt, Arp habe den Verkauf seiner Gipsplastiken durch den Kunsthandel nie genehmigt. Verschenkt wurden die Gipse schon, an Freunde oder Museen. Wollte aber heute jemand einen Arp-Gips verkaufen, bekäme er rechtliche Probleme.
Uneindeutiger ist die Situation bei Arps Bronzen. Eine wirklich wertvolle Quelle in der Debatte um diese Werke ist die Gussrechtsliste, die Marguerite Arp und Greta Stöhr 1977 zusammenstellten und die nun am Ende des Buches als Faksimile erstmals abgebildet ist. Diese Liste zeigt an, bei welchen Werken die Auflage zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig ausgeschöpft war. Arp ließ seine Bronzen zumeist in Dreier- oder Fünferauflagen herstellen. Zusammen mit den Gussdaten auf den Karteikarten kann man nun nach dem Ausschlussverfahren den Status der Nachgüsse bestimmen. Alle autorisierten posthumen Güsse, die sich noch in der vorgesehenen Auflagenhöhe unterbringen lassen, gelten im juristischen Sinne als Werke Arps. Alles, was darüber hinausgeht, nicht mehr.
Nach strenger Logik und visuell einprägsamer Systematik (in Form unterschiedlich gemusterter Kreise) sortieren die Autoren des Buches Arps skulpturales Oeuvre in fein und faul. Das Ergebnis der großen Bestandsaufnahme fällt dabei weniger erschreckend aus, als mancher gedacht haben mag. Andererseits gibt es aber auch keinen übermäßigen Grund zum Jubel. Illegitime Nachgüsse von Arp-Skulpturen sind nicht zu Hunderten entstanden. Aber dass es mehr als ein paar Einzelfälle waren, sieht man auch ziemlich klar.
Der Verein selbst hat in den Achtziger- und Neunzigerjahren 20 Bronzen über die Auflage hinaus gegossen. Dazu kommen noch einmal fast doppelt so viele Fälschungen und illegitime Bronze-Repliken aus anderen dritten Quellen. Bei Stahl und Aluminium sind nur eine Handvoll Werke auffällig, aber es gibt auch nur wenige. Bei den Steinarbeiten (zum Beispiel aus Marmor oder Zement) zählen die Autoren dagegen wieder über zwei Dutzend illegitime posthume Skulpturen. Davon geht der Großteil auf das Konto des Remagener Vereins.
Insgesamt führt das Buch über 80 nicht autorisierte Arp-Werke auf. Das skulpturale Gesamtwerk des Künstlers umfasst rund eineinhalbtausend Exemplare, der überwiegende Teil sind Bronzen. Daran gemessen scheint die Zahl der Unregelmäßigkeiten (vor allem bei den Bronzen) marginal. Andererseits zählen die alten Arp-Werkverzeichnisse zusammen kaum 400 Nummern, und wenn man die aktuelle Bestandsaufnahme durchblättert, fällt tatsächlich bei ungefähr jedem fünften Eintrag die eine oder andere Unregelmäßigkeit auf.
Ohnehin birgt jeder Einzelfall enormen Ärger: Der amerikanische Architekt Richard Meier, der den Neubau für das Museum Bahnhof Rolandseck entwarf, wäre wohl geschockt, wenn er erführe, dass das Bronzeexemplar der "Gnomenbüste", welches ihm Johannes Wasmuth einst zum Geburtstag schenkte, heute allenfalls noch den Wert einer hübschen Bücherstütze hat. Ebenso dürfte der unbekannte Sammler frustriert sein, der im November 2001 im Auktionshaus Christie's knapp 33.000 Dollar für ein Exemplar der "Kleinen Sphinx" ausgab. Auch dieses Werk gilt nach der Bestandsaufnahme nicht mehr als nachweislich autorisiert. Man werde jede Information, die an Christie's herangetragen werde, prüfen und entsprechend handeln, heißt es knapp vonseiten des Auktionshauses.
Zu den Leidtragenden gehört auch die Stadt Locarno, in deren Sammlung sich nun sechs Bronzeskulpturen ohne Gussrecht befinden. Bei zwei Bronzen mit Inventarnummern des Bahnhofs Rolandseck, die das Land Rheinland-Pfalz erwarb, lässt sich nicht erkennen, ob sie vielleicht schon retourniert wurden.
Die Bestandsaufnahme ist ein mutiger Schritt der Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber- Arp, der neue Transparenzstandards im Umgang mit einem bildhauerischen Werk setzt. Es ist ein wichtiges Buch für die Forschung zu Arp. Manche Skeptiker wird das trotzdem nicht überzeugen. Und so wird die Fachwelt weiter über Fragen debattieren, wie die, ob Marguerite Arp-Hagenbach nicht doch zur "Werkvermehrung" beitrug, als sie 1977 0- Nummern (also Künstlerexemplare) in die Gussrechtsliste aufnahm. Auch gibt es zahlreiche Kunsthistoriker, die posthume Güsse per se nicht als authentische Werke anerkennen wollen, weil in ihren Augen nur der Künstler selbst über Patina und Oberflächenbehandlung einer Skulptur bestimmen kann. Der Kunstmarkt freilich hat diese Debatte längst für sich entschieden: Wen man die aktuellen Auktionspreise vergleicht, ist die posthum fabrizierte "Kore" mit 1,6 Millionen Dollar kaum billiger als die teuerste Bronze, die zu Lebzeiten Arps gegossen wurde.