Die Entzauberung des Händlers
Loretta Würtenberger
Ein britisches Gericht regelt, dass Endpreise von Kunstwerken offengelegt werden. Eine Revolution für den Markt
Intransparenz ist eines der Hauptmerkmale des Kunstmarktes. Nun hat der High Court, der Oberste Gerichtshof in England, ein Urteil gesprochen, das für den Kunstmarkt so folgenschwer sein könnte, wie die Einführung der Online-Plattform Artnet vor 15 Jahren, welche die Auktionspreise transparent machte. Das Gericht in London hat im „Da Vinci“-Fall, in den die wichtigen und international agierenden Händler Daniella Luxembourg und Simon Dickinson involviert waren, entschieden, dass bei sogenannten „Kettengeschäften“ der Verkäufer den endgültigen Verkaufspreis sowie jede Form von Kommissionsvereinbarung, die bei einer Weitergabe des Bildes zwischen Händler geschlossen wurde, kennen müsste. Stellt der Verkäufer allerdings im Nachhinein fest, dass er von den beteiligten Händlern im Unklaren gelassen wurde, müssen die zuvor verdeckten Elemente des Endverkaufspreises an ihn weitergeben werden.
Dies klingt zunächst selbstverständlich, ist es im Kunstmarkt aber keinesfalls. Vielmehr geht eine Arbeit oft durch die Hände vieler Händler, bevor einer dieser Händler, oft das dritte oder vierte, vielleicht sogar fünfte Glied einer Kette, den potenziellen Käufer gefunden hat. Jeder dieser Beteiligten will einen Teil des „Kuchens“ abbekommen, womit der Preis für die Arbeit von Händler zu Händler steigt. Der Verkäufer bekommt dessen ungeachtet jedoch zumeist nur den Preis, den er mit dem ersten, von ihm direkt angesprochenen Händler verabredet hat. Die verbleibenden Erträge werden ohne seine Kenntnis zwischen den agierenden Händlern aufgeteilt.
So auch im vorliegenden Fall, der genauso verstrickt erscheint, wie so mancher Kunstmarkt-Deal: der Verkäufer wollte ursprünglich fünf Millionen US-Dollar für die Zeichnung Leonardo da Vincis „Madonna und Kind mit St Anna und dem Lamm“ haben. Seine Agentin sprach mit Wissen des Verkäufers die in New York und London ansässige Händlerin Daniella Luxembourg an. Beide sollten im Fall eines erfolgereichen Verkaufes jeweils 500 000 Dollar Kommission erhalten. Luxembourg wandte sich nun jedoch nicht an einen potenziellen Erwerber, sondern an ihren Kollegen Simon Dickenson. Beide schlossen, mündlich und ohne Wissen des Verkäufers, eine sogenannte „Net return price“-Vereinbarung, die besagte, dass Dickenson im Verkaufsfall an Luxembourg als Vertreterin des Verkäufers sechs Millionen Dollar zahlen sollte und jeden darüber hinaus erzielten Verkaufspreis behalten könnte. Er verkaufte die Arbeit für sieben Millionen Dollar und reichte sechs Millionen Dollar an Luxembourg weiter. Von der Differenz wird er nun knapp 800 000 Dollar an den damaligen Verkäufer der Zeichnung zahlen müssen.
Dieses Urteil wird nicht nur für den englischen Kunstmarkt von großer Relevanz sein. London ist einer der wichtigsten Kunsthandelsplätze weltweit, der Kunstmarkt ist globalisiert. Arbeiten werden von Amerika nach Europa nach Asien verkauft, in vielen Fällen via London. Im „Da Vinci“-Fall saß der Verkäufer in Liechtenstein, der Käufer in den USA.
Was bedeutet das Urteil für Händler? Nehmen Händler an „Kettengeschäften“ teil und sitzt dabei nur eine der Parteien in England, so wird in Zukunft jeder Händler in der Kette von sich aus sicherstellen müssen, dass der Verkäufer seine Vereinbarung mit einem vorgeschalteten Händler kennt - und zwar auch dann, wenn zunächst keiner der beiden Händler Kontakt zum Verkäufer hatte. Falls der Händler seine Vereinbarung dem Verkäufer nicht mitteilt, kann er nicht davon ausgehen, seine Kommission behalten zu dürfen.
Das wird zu einem Paradigmenwechsel im Kunstmarkt führen. Händler offenbaren sich nur höchst ungern ihren Sammlern, von denen sie kaufen oder an die sie verkaufen. Der Kontakt zum Sammler gehört zu den wichtigsten Bausteinen für einen erfolgreichen Kunsthändler und daher hat er in der Vergangenheit alles dafür getan, die Identität der Sammler, mit denen er arbeitet, vor seinen Kollegen geheim zu halten. Dies wird er in Zukunft nicht mehr können, wenn er an „Kettengeschäften“ teilnehmen und verdienen möchte. „Kettengeschäfte“ sind für Händler immer dann interessant, wenn sie selbst nicht den richtigen Sammler für das von ihm angebotene Werk kennen und daher auf die Mithilfe von Kollegen angewiesen sind. Will ein Händler dennoch seinen Kundenstamm geheim und die Identität des Verkäufers verdeckt halten, wird er dieses nur erreichen können, indem er die Arbeit an den Kollegen direkt verkauft, anstatt dass dieser sie im verdeckten Kommissionsgeschäft nur weiterreicht. Hätte Simon Dickinson die Arbeit für sechs Millionen Dollar von Daniella Luxembourg gekauft, um sie dann für sieben Millionen weiterzuveräußern, hätte der ursprüngliche Eigentümer keinen juristischen Ansatzpunkt gehabt.
Aus Sicht der Sammler hat das Urteil einen enormen Vorteil: Er hat nun einen Anspruch darauf, zu wissen, wer seine Arbeit zu welchen Konditionen im Markt anbietet und wie viel die von ihm zu Verkauf angebotene Arbeit am Ende tatsächlich erzielt hat. Ein Novum für den Kunstmarkt - in jeder Hinsicht.
Loretta Würtenberger ist promovierte Juristin und seit 2008 Partnerin bei Fine Art Partners, einem Unternehmen in Berlin, das Kunsthändler, Sammler und Künstlernachlässe berät und finanziert.