Der Eintags-Crash
von Tim Ackermann
Am Dienstag stürzte der Kunstmarkt bei einer Auktion von Christie's ab. Nur 24 Stunden später erkämpfte er sich bei Sotheby's sein Triple-A-Rating zurück. Ein Erklärungsversuch
Als Auktionator Christopher Burge um 19 Uhr New Yorker Zeit den Hammer in die Hand nahm, sprach die Weltlage gegen ihn. Am Vortag hatte der griechische Premier Georgios Papandreou verkündet, den Euro-Rettungsplan seinem Volk zur Abstimmung vorlegen zu wollen und Wellen des Entsetzens um den Globus gejagt. Es dürfte Burge mehr als klar gewesen sein, dass ein drohender Kollaps der Finanzmärkte nicht das ideale Begleitevent bei der Präsentation ausgewählter Meisterwerke des Impressionismus und der klassischen Moderne ist. Trotzdem hatte er in den ersten Minuten den Wert eines Picasso-Drucks auf einen neuen Grafikrekordpreis gesteigert.
Dann kam Los Nummer 7, ein pastelltoniges Interieur von Henri Matisse aus der Sammlung von Lew und Edie Wasserman. Das Bild war zuvor auf vier bis sechs Millionen Dollar geschätzt worden. Es wurde nicht verkauft. Danach, so berichten New Yorker Kunsthändler, soll die Stimmung im Saal gekippt sein. Und als dann mit der Losnummer 18 das vermeintlich teuerste Werk des Abends - Degas' Tänzerinnenfigur "Petite danseuse de quatorze ans" - kein einziges Gebot bekam, machte das Wort der "Blutbad-Auktion" die Runde.
Christie's verkaufte am Dienstagabend impressionistische und moderne Kunst im Wert von 141 Millionen Dollar. Gerechnet hatte man mit 212 bis 304 Millionen. 31 von 82 angebotenen Werken wurden nicht verkauft, und so verzeichnete das Traditionshaus eine beachtenswert miserable Durchfallquote von 38 Prozent nach Losen und 45 Prozent nach Wert. Schlimmer: Mit dem Gesamtergebnis landete man noch unter den 147 Millionen Dollar aus einer vergleichbaren Auktion im November 2008. Auf jene Versteigerung hatte man in den vergangenen drei Jahren als schauerlichen Tiefpunkt des Marktes nach der Lehman-Brothers-Pleite zurückgeblickt.
Sotheby's hatte im November 2008 mehr Glück gehabt. Mehr als 223 Millionen Dollar setzte das Auktionshaus damals mit impressionistischer und moderner Kunst um. Ein ähnliches Bild ergab sich am Mittwoch: Sotheby's nahm knapp 200 Millionen Dollar ein und verbuchte die Auktion auf der Erfolgsseite.
Der internationale Kunstmarkt hatte so sein Triple-A-Rating innerhalb von 24 Stunden zurückerkämpft. Und da sich in Griechenland die Dinge zwischenzeitlich nicht wesentlich geändert hatten, war klar, dass man dem Land nicht für alles die Schuld geben konnte. "Christie's hatte das Pech, als Erster nach Papandreous Ankündigung an den Start zu gehen. Das hatte sicher einen Effekt, zumal seit Mai große Unsicherheit an den Finanzmärkten herrscht", sagt Philip Hoffman. "Aber", fährt der Manager des Londoner Kunstinvestmentfonds Fine Art Fund Group fort, "es gibt noch einen deutlich wichtigeren Grund für das schlechte Abschneiden von Christie's bei dieser Auktion: Die Schätzpreise der Werke waren im Schnitt 30 Prozent zu hoch."
Zu hohe Erwartungen bei Christie's - das ist die Erklärung des Kunsthandels für die Misere. "Sotheby's hatte einfach das deutlich überzeugendere Konzept", sagt auch Daniel Tümpel: "Bessere Qualität zu realistischeren Preisen." Tümpel, der Partner bei Fine Art Partners in Berlin ist, einem Unternehmen für Kunsthändlerfinanzierung, verweist auf die Tänzerin von Degas, die mit 25 bis 35 Millionen Dollar im Vorfeld vom Auktionshaus sehr ambitioniert eingeschätzt worden war. Erst im Februar 2009 war ein vergleichbares Exemplar bei Sotheby's in London über die obere Taxe gestiegen und für 13,2 Millionen Pfund (umgerechnet 18,8 Millionen Dollar) versteigert worden. "Man schaut sich das an und fragt sich, wie die jetzt verlangten zusätzlichen sieben bis siebzehn Millionen eigentlich zustande kommen sollen", sagt Tümpel. "Das gibt der Markt gerade einfach nicht her."
Aufgescheucht durch das Christie's-Ergebnis, hatten die Auktionatoren von Sotheby's genug Zeit, um die Erwartungen der Einlieferer, was die Mindestverkaufspreise angeht, etwas nach unten zu drücken. Doch ohnehin hatte das Auktionshaus Hauptwerke der Auktion vorsichtig bewertet, obwohl diese ihre Museumsqualität bereits bewiesen hatten: Das restituierte Landschaftsgemälde "Litzlberg am Attersee" von Gustav Klimt hing zuvor im Museum der Moderne Rupertinum in Salzburg, bevor es an die Erben der jüdischen Alteigentümer zurückgegeben wurde. Auktionator Tobias Meyer hatte das Bietergefecht bei 17 Millionen Dollar begonnen. Als er es für 36 Millionen (mit Aufgeld: 40,4 Millionen) dem Zürcher Händler David Lachenmann zuschlagen konnte, brandete spontan Applaus im Saal auf.
Einen Künstlerrekord verzeichneten die Auktionatoren für Gustave Caillebottes Eisenträgerbrücken-Hommage "Le Pont d'Argenteuil et la Seine" (1883), die lange als Leihgabe im Metropolitan Museum of Art in New York gehangen hatte. Geschätzt hatte man das Bild auf neun bis zwölf Millionen Dollar. Verkauft wurde es für 18 Millionen an einen unbekannten amerikanischen Telefonbieter. Weniger aufregende Werke von Impressionisten wie Alfred Sisley oder Camille Pissarro wurden unter dem unteren Schätzpreis zugeschlagen; Bilder von Bonnard, Vuillard, Derain und Signac zählten zu den Rückgängen. Der Markt der vormodernen Klassiker erwies sich da als selektiv. Lediglich dem dritten museumserprobten Kunstwerk, Claude Monets Küstenimpression "Antibes, le fort" (1888), gelang es, den oberen Schätzwert zu übersteigen. Von einem Großteil der erzielten 9,2 Millionen kann das Museum of Fine Art in Boston jetzt seinen Ankaufsetat aufstocken.
"Die Käufer zahlen weiterhin sehr viel Geld für exzeptionelle Arbeiten", sagt Daniel Tümpel und denkt dabei an positive Ausreißer bei der Christie's-Auktion wie die Bronzeskulptur "Le premier Cri" (1917) von Constantin Brancusi. Ein vergleichbares Werk war seit 2002 nicht mehr auf dem Markt, und so zahlte ein Sammler 14,8 Millionen Dollar, fast das Doppelte des unteren Schätzpreises.
Wieso Christie's mit so vielen Schätzpreisen zu hoch zielte, bietet Anlass zur Spekulation. "Es mag damit zu tun haben, dass die Einlieferer zu ambitionierte Erwartungen auf Grund einzelner Rekordergebnisse aus der Vergangenheit hatten", sagt Daniel Tümpel. "Zudem ist zwischen Christie's und Sotheby's ein regelrechter Wettbewerb um die Einlieferungen entbrannt." Indirekt wird das bestätigt von Händlern wie Philip Hoffman. "Es gibt einen akuten Mangel an Verkäufern", sagt er. "Kaum jemand will sich in der derzeitigen Lage von seinen gesammelten Meisterwerken trennen." Die Fine Art Fund Group hat am Mittwoch bei Sotheby's "ein surrealistisches Werk" versteigern lassen, gewinnbringend. Er habe Angebote von beiden Auktionshäusern gehabt und sich für die "konservativere" Offerte entschieden, sagt Hoffman. "Die Schätzungen künstlich zu erhöhen funktioniert nicht", sagt er. "Es gibt so viel Geld wie noch nie im Markt. Die Menschen wollen in Kunst investieren, aber sie wollen keine überzogenen Preise dafür zahlen." Das ist der Markt der Finanzkrise: Viel lockeres Geld, viel nüchternes Wissen und eine zunehmende Zahl internationaler Sammler, die sich aus dem mageren Angebot die Schmuckstücke herausfischt. Was ein weniger qualitatives Bild ausmacht: Zu den Rückgängen gehörte bei Christie's auch Picassos Porträt "Femme endormie" - die Darstellung seiner schlafenden Geliebten Marie-Thérèse Walter von 1935. Ein drei Jahre zuvor entstandenes Aktporträt von Marie-Thérèse war im Mai 2010 bei Christie's mit 106,5 Millionen Dollar zum teuersten Gemälde der Auktionsgeschichte geworden. Diesmal aber wollte niemand die erhofften 12 Millionen Dollar zahlen. Manchmal, so scheint es, liegt es wohl einfach auch am Geschmackskonsens: "Es war diesmal kein tolles Bild", erklärt der Münchner Moderne-Händler Raimund Thomas. "Es fehlte einfach die Spritzigkeit, die man gewöhnlich mit Picasso verbindet."