"Größer als die Idee von Webmiles"
von Stefanie Bilen
Loretta Würtenberger gehörte zu den bekanntesten Köpfen der New Economy. Die Medien liebten ihre Story von der jüngsten Richterin Deutschlands, die zur schillernden Webmiles-Gründerin wurde. Seitdem ist es ruhig um sie geworden. Zusammen mit ihrem Mann investiert die promovierte Juristin in Kunst. Im SAAL ZWEI-Interview spricht sie über den großen Finanzbedarf im Markt, ihren facettenreichen Lebenslauf - und die altmodischen Geschäfts-Gebaren in der Kunstwelt.
SAAL ZWEI: Frau Würtenberger, Sie unterstützen Kunsthändler finanziell, damit diese Bilder kaufen können. Anders als eine Bank verlangen Sie keine Zinsen, sondern wollen einen Teil der Marge, die der Händler beim Verkauf erzielt. Wie entwickelt sich Ihr Geschäft?
Loretta Würtenberger: Sehr gut, die Gründung 2007 war die beste unternehmerische Entscheidung, die ich bisher getroffen habe. Wir sind inzwischen global aktiv und unterstützen Händler unter anderem in den USA, England oder der Schweiz. Der Bedarf an Finanzierungen ist groß, zugleich gibt es so gut wie keine weiteren professionellen Finanzdienstleister, die in dieser Form im Kunstmarkt tätig sind. Um die Arbeit erfolgreich machen zu können, sollte man in beiden Welten zu Hause sein: Man muss das finanzielle Risiko einschätzen können. Zugleich muss man das Vertrauen der Kunsthändler gewinnen und sich mit ihnen auf Augenhöhe über Kunst austauschen können. Diese Kombination – verbunden mit den finanziellen Mitteln – ist nicht oft vorhanden: Traditionelle Banker sind zumeist nicht wirklich im Kunstmarkt zu Hause, Galeristen hingegen konzentrieren sich lieber auf den Kunsthandel anstatt auf dessen Finanzierung.
Wie groß ist der Markt, in dem Sie sich bewegen?
Der Markt ist groß, die Anzahl der Protagonisten hingegen klein. Es handelt sich um kein Massengeschäft. Es gibt eine zweistellige Zahl an Händlern, die international gehandelte Spitzenwerke von kunsthistorischer Relevanz ankaufen und zu denen wir einen guten Draht haben. Wir haben inzwischen weit über 100 Transaktionen mit ihnen abgewickelt, keine davon war defizitär.
Warum beschränken Sie sich auf Klassiker?
Bei ihnen handelt es sich um Werke, die von renommierten Kunsthändlern gekauft werden, um sie anschließend mit Gewinn zu veräußern. Sollte der Händler wider Erwarten für die von uns mitfinanzierte Arbeit nicht den passenden Sammler finden, so gibt es dann immer noch die Möglichkeit, sie gemeinsam mit dem Händler auf eine der großen Auktionen zu geben. Insofern ist die Beschränkung auf Werke etablierter Künstler eine Absicherung. Junge Kunst hingegen funktioniert ganz anders: In ihrem Fall geht es um Spekulation. Man wettet darauf, dass sich der Wert von verhältnismäßig günstigen Objekten künftig erhöht. Das ist ein komplett anderer Ansatz. Privat interessieren uns junge Künstler sehr, und wir sind froh, dass wir ihr ganz unabhängig von geschäftlichen Interessen begegnen und uns rein inhaltlich mit ihr auseinandersetzen können.
Sie haben unterschiedlichste berufliche Erfahrungen gesammelt – von der Arbeit als Richterin über Ihre Tätigkeit als Webmiles-CEO bis hin zur Investmentbankerin. Was hat Sie daran gereizt, sich mit einer kleinen Kunst-Finanzierungsfirma selbstständig zu machen?
Kunst war schon immer der Ort, an dem ich mich wohl gefühlt habe. Seit ich 18 oder 19 war, bin ich ins Museum gegangen, wenn ich auftanken wollte. Insofern war es schon immer meine Leidenschaft. Ich habe nur nie geglaubt, dass ich sie mit einem Beruf vereinbaren könnte. Irgendwann haben mein Mann, dem es als Investmentbanker mit großem Kunst-Interesse ähnlich ging, und ich die Idee zu Fine Art Partners entwickelt. Sie gibt uns heute die wunderbare Möglichkeit, Leidenschaft und das, was wir in unseren bisherigen Berufsleben erlernt haben, zu kombinieren.
Wenn Sie auf Ihre beruflichen Stationen zurückblicken: Gibt es einen roten Faden in Ihrem Werdegang oder haben Sie sich eher treiben lassen?
Nein, eigentlich gibt es keinen roten Faden - und doch hat sich alles richtig gefügt: Am Anfang meines Berufslebens arbeitete ich als Richterin in Berlin. Als mein damaliger Mann nach München wechselte, gab es für mich keine Möglichkeit, dort als Richterin weiterzumachen. Das, was ich an juristischen Kenntnissen in dieser Zeit gelernt habe, kann ich jedoch heute sehr gut bei Fine Art Partners einbringen. Nach der Zeit als Richterin entstand Webmiles, das ich gemeinsam mit einem Freund innerhalb von zwei Jahren zum europäischen Marktführer für Online-Kundenbindungssysteme brachte. Das war eine sehr intensive Zeit, in der ich alle Phasen des Unternehmertums durchlaufen musste: von den ersten Schritten bis hin zu 120 Mitarbeitern, von einem geplanten, dann abgesagten Börsengang bis zum erfolgreichen Verkauf an Bertelsmann. Anschließend ging ich ins Investment-Banking. Ich bin nicht unbedingt mit Leidenschaft gestartet, aber mir war klar, dass ich viel lernen konnte. Und insgeheim habe ich darauf gewartet, eine neue Geschäftsidee zu haben. Denn natürlich zaubert man nach der Webmiles-Erfahrung keine zweite Vision einfach so aus dem Ärmel.
Ihr Name gehörte in der New Economy zu den bekanntesten – insbesondere auch, weil es so wenige Frauen gab. Ihre Story gab viel her – und manchmal hieß es, Sie vermarkteten sich besser als Ihr Unternehmen. Wann drehte es sich – und die mediale Aufmerksamkeit begann zu nerven?
Vor meiner Zeit bei Webmiles hatte ich nie mit der Presse zu tun – und dann auf einmal in großer Intensität. Trotzdem habe ich darauf geachtet, dass meine Präsenz in den Medien nie Selbstzweck war, sondern immer aufgabengebunden und förderlich für das Unternehmen. Und es hat funktioniert, wir haben Webmiles sehr erfolgreich an Bertelsmann verkauft. Im Anschluss bin ich so gut wie aus der Öffentlichkeit verschwunden, es gab keinen Grund mehr für Medienberichte.
Haben Sie die Aufmerksamkeit in der Boom-Zeit der New Economy genossen?
Nein. Was ich aber genossen habe, war der Einblick in die gesellschaftlichen Strukturen, in das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft und in die Ausprägung von Machtstrukturen. Egal ob als Mitglied des Internet-Beirats der bayerischen Landesregierung, als Beraterin der FDP oder als Jury-Mitglied von Unternehmer- Preisen. Das waren inspirierende Aufgaben und interessante Gespräche. Viele der Kontakte bestehen heute noch.
Mit dem Unterschied, dass es heute sehr ruhig um Sie geworden ist. Ist das ein Lerneffekt aus früheren Zeiten?
Es ist nicht ruhiger geworden, aber ich bin weniger sichtbar. Zum einen ist unsere Arbeit sehr international. Ich bin häufig in Zürich, London und den USA. Zudem hat es mit der Art unserer Arbeit zu tun. Wir agieren als Finanzer diskret im Hintergrund. Die ständige Präsenz in den Medien ist nicht unbedingt förderlich. Trotzdem ist unsere Geschäftsidee sehr viel größer als die von Webmiles damals. Unsere Umsätze sind größer und auch die Margen.
Es gibt immer wieder Versuche, Teile des Kunst-Geschäftes ins Internet zu verlagern. Zuletzt hat Daniela Hinrichs, Co-Gründerin von Xing, eine Plattform für Fotografien ins Leben gerufen. Wie beeinflussen solche Aktivitäten den Kunsthandel?
Ich bin immer wieder überrascht, wie altmodisch der Kunstmarkt eigentlich ist. Die wichtigste Rolle spielen nach wie vor die Messen. Wie im Mittelalter Waren zum Marktplatz gebracht wurden, so werden heute noch Kunstwerke auf die Messe geschickt, damit Interessenten sie sehen können. Das kann kein Internet ersetzen. Kunst entsteht im Auge des Betrachters: Ein Galerist und ein Sammler wollen gemeinsam vor einer Arbeit stehen und sich darüber unterhalten. Das persönliche Gespräch in Anbetracht des Werkes ist das Wichtigste. Auch die beste Technik wird das nicht ersetzen können.
Dr. Loretta Würtenberger, 40, Abiturdurchschnitt 1,3, studierte Jura und wurde mit 25 jüngste Richterin Deutschlands. Mit ihrem Ex-Mann Peter Würtenberger, damals Geschäftsführer von Yahoo, ging sie nach München und gründete dort Webmiles. Später arbeitete sie als Investmentbankerin bei Blue Corporate Finance. Seit 2008 führt sie mit ihrem Mann Daniel Tümpel Fine Art Partners in Berlin.
Das Paar hat zwei Kinder, 4 und 6 Jahre.